Kriegsfilm „Onoda“: Der Krieg, der nie zu Ende ging - WELT (2024)

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Hiroo Onoda ist kaum zwanzig Jahre alt, als seine besondere Begabung entdeckt wird. Sie ist zumal in Kriegszeiten selten und kostbar: Er kann überleben. Dieser Vorzug lässt sich im Japan des Jahres 1944 jedoch auch ins Negative wenden, wie es Hiroos enttäuschter Vater tut: Die Gabe disqualifiziert ihn für die ehrenvolle Aufgabe des Kamikaze-Piloten.

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Für die Laufbahn eines Nachrichtenoffiziers hingegen ist sie eine Empfehlung. Onodas Vorgesetzter und Mentor Taniguchi erkennt das Potenzial des Rekruten sofort. Er weiht ihn in Täuschungsmanöver ein, bildet ihn in Guerillataktik aus und bereitet ihn auf einen Abnutzungskrieg vor, der keinen Ruhm verspricht.

Auf der philippinischen Insel Lubang, 3000 Kilometer von Tokio entfernt, soll er ausharren und Widerstand gegen die anrückenden Amerikaner leisten. Eines schärft er seinem Schützling vor der Abreise noch ein: Sein Körper gehört der Nation, das Recht zu sterben ist ihm verweigert.

Berühmtester der „Beharrlichen“

Onoda wird die Regeln der geheimen Kriegsführung gründlicher befolgen, als sein Lehrmeister es sich je hätte vorstellen können. Er ist der Berühmteste unter den so genannten „Beharrlichen“, jenen versprengten Soldaten, die Kapitulation und Kriegsende ignorierten und bis in die 1970er auf ihren Posten im Dschungel aushielten.

Kriegsfilm „Onoda“: Der Krieg, der nie zu Ende ging - WELT (1)

Arthur Hararis Film setzt, ebenso wie Werner Herzogs fast zeitgleich erschienener Onoda-Roman „Das Dämmern der Welt“, mit dessen Entdeckung durch einen japanischen Touristen ein. Die Kamera nähert sich mit dem jungen Reisenden voller Ungeduld und Respekt der legendenumwobenen Insel. Indes, das Ziel ist eindeutig, aber die Zeitebene ist es nicht. Harari lässt im Ungewissen, ob wir beim Auftakt nicht bereits seinem Titelhelden auf dessen Weg zu seiner Bestimmung folgen.

Fortan wird sich die Trennlinie zwischen Gegenwart und Vergangenheit immer wieder auflösen. Der zuverlässigste Agent dieser Zeitreisen ist das alte, sehnsuchtsvolle Kasernenlied „Sado Okesa“, das Onoda während seines Kriegs begleitete und ihn 1974 zu dem Zelt des jungen Studenten Suzuki lockt, der es sich zum unbedingten Ziel gesetzt hat, den berühmten Verschollenen zu finden. Onodas Rückkehr in die Zivilisation ist mit ihrer Begegnung freilich längst nicht besiegelt. Ergeben will er sich erst, wenn sein Vorgesetzter Taniguchi es befiehlt.

Experte für Verblendung

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Arthur Harari, der dem hiesigen Publikum allenfalls als Darsteller und Drehbuchautor von Filmen seiner Lebensgefährtin Justine Triet bekannt sein dürfte, ist fasziniert von dem Motiv der Verblendung. Seine Charaktere müssen spät erkennen, dass ihr Handeln und ihre Existenz auf einem Irrtum beruhten. Das gilt bereits für sein meisterliches Regiedebüt „Diamant Noir“ von 2016, das von Erbe und Rache im Milieu von Diamantenhändlern in Antwerpen handelt. Schon dies ein Film, der die traditionellen Zuständigkeiten des französischen Autorenkinos souverän hinter sich lässt, ein Neo-Noir aus dem Geist von De Palma und James Gray.

Mit seiner zweiten Regiearbeit sprengt er endgültig den Rahmen heimischer Produktionsbedingungen. Da er in Frankreich nicht ausreichend Fördermittel und Geldgeber für einen Film in japanischer Sprache fand, suchte sein Produzent Partner in Belgien, Deutschland, Italien, Kambodscha und Japan. Nach zehn Jahren Planung, drei Jahren angespannter Produktionsvorbereitung und 13 Drehwochen im kambodschanischem Dschungel ist Harari ein Film gelungen, der in jeder Hinsicht seinesgleichen sucht.

Zugleich bekräftigt er seine Autorenhandschrift, indem er das Thema der Vatersuche aufgreift, das schon „Diamant Noir“ prägt. Onoda (von Yûya Endô und Kanji Tsuda in verschiedenen Lebensaltern und mit gleicher Intensität verkörpert) zieht als guter Sohn in den Krieg. Der wird für 30 Jahre die Fliehkraft sein, der er seine Existenz unterwirft. Selbstredend kommt Harari nicht umhin, die drängenden Fragen zu beantworten, die diese eigentümliche Lebensgeschichte aufdrängt: Wie konnte es dazu kommen? Und weshalb dauerte es so unvorstellbar lang?

Defoe, Stevenson, Conrad

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Hararis Drehbuch tut dies mit einer wundersamen Selbstverständlichkeit, indem es den Zeitfluss einerseits verdickt und im Gegenzug unauffällige Ellipsen setzt. Onodas fanatischer Patriotismus (bei der Pressekonferenz nach seiner Heimkehr erklärte er schlicht, er habe seine Befehle ausgeführt) ist eine hinreichende, aber nicht erschöpfende Erklärung. Eine naheliegende Spur wäre der Wahn, dem Onoda anheimgefallen sein könnte. Aber dieser Soldat begibt sich in keinen Taumel, und sein Regisseur verweigert sich jedweder Metaphysik.

Vielmehr hat er einen ungenierten Abenteuerfilm gedreht. „Onoda“ stellt sich stolz in die Tradition von Defoe, Stevenson und Conrad. Harari erzählt ein Drama der robusten Körper und alltäglichen, listigen Verrichtungen. Die Furcht, sich hier auf einen filmischen Einhandsegler einlassen zu müssen, ist unbegründet. Hiroo steht nicht allein, er hat drei findige Gefährten, eine solide Männerwirtschaft, deren Anzahl sich indes im Lauf der Jahrzehnte verringert.

Bereits im Herbst 1945 hören sie, dass der Krieg vorüber sein soll. Das halten sie für amerikanische Propaganda. Suchtrupps aus der Heimat verscheuchen sie. Auch als ihnen Jahre später japanische Zeitungen zugespielt werden und ihnen ein Transistorradio in die Hände fällt, weigern sie sich, einer „Täuschung“ auf den Leim zu gehen. Die Nachrichten aus der wirklichen Welt dechiffrieren sie konsequent als Fortsetzung des Weltkriegs.

Kriegsfilm „Onoda“: Der Krieg, der nie zu Ende ging - WELT (2)

Sie spekulieren über neue asiatische Allianzen, die sie auf einer Weltkarte akribisch verzeichnen. Das Gerücht von einem Krieg in Indochina nehmen sie als Bestätigung. Nicht von ungefähr wurde Hararis Drehbuch mit einem César ausgezeichnet: Es gewährt Innenansichten einer bizarren, zugleich bezwingenden Logik.

Geister des Dschungels

Mit der Papierform mag es der Regisseur nicht bewenden lassen, seine Inszenierung birst von einem überschwänglichen Vertrauen in die Möglichkeiten des Kinos. Sein Dschungelkammerspiel ist so trocken, pragmatisch und abenteuerlich erzählt wie ein Genrestück von Raoul Walsh. Aber seine Schaulust hat eine eigene, fiebrige Verve. Sie reibt sich am Konkreten.

Hararis Protagonisten passen sich der Natur mit immensem Einfallsreichtum an. Der Dschungel, im Kino stets ein Ort der Bestimmung, an den man nicht unschuldig kommt und mit sich selbst konfrontiert wird, ist keine grüne Hölle für sie, sondern ein alltäglicher Lebensraum, der sich kartografieren und beherrschen lässt. Darin bewegen sie sich wie Geister, der Vergangenheit und ihrer selbst. Harari filmt sie als etwas, das nur das Kino zeigen kann: Unsichtbare.

Onoda hat den Frieden gehasst. Als er endlich von ihm erfährt, trägt er mit Fassung, dass sein Leben eine Fiktion war. Vielleicht, diese Hoffnung hegt sein Regisseur, begreift er, dass dieser Krieg, wie jeder Krieg, zu lange dauert.

I am an enthusiast and expert with a profound understanding of the historical and cultural context presented in the provided article. My knowledge encompasses the details surrounding Hiroo Onoda's remarkable story and the cinematic adaptation by Arthur Harari.

Hiroo Onoda's narrative unfolds during World War II in Japan, specifically in 1944. His unique talent for survival becomes a double-edged sword when it disqualifies him from the honorable role of a Kamikaze pilot. Instead, he is chosen for a different path as a Nachrichtenoffizier (communication officer) under the guidance of Taniguchi, his superior and mentor. Onoda is trained in deception tactics, guerrilla warfare, and prepared for a prolonged conflict against the advancing Americans on the Philippine island of Lubang.

The article highlights Onoda's unwavering commitment to his mission, making him one of the "Beharrlichen" or the persistent ones, soldiers who disregarded surrender and persisted in their posts until the 1970s. Arthur Harari's film, mentioned in the article, captures the essence of Onoda's life, blending elements of past and present, exploring themes of dedication, deception, and the impact of war on an individual's psyche.

Arthur Harari, known for his previous work in films like "Diamant Noir," demonstrates his expertise in filmmaking. His fascination with the theme of delusion is evident in his directorial approach, characterized by characters realizing the misconceptions underlying their actions and existence.

The article also touches upon Harari's challenges in producing a film in Japanese, involving collaboration with partners from Belgium, Germany, Italy, Cambodia, and Japan. This underscores the depth of his commitment and the international collaboration required to bring this cinematic masterpiece to fruition.

Harari's script skillfully navigates the complexities of Onoda's fanatic patriotism and his prolonged isolation in the jungle. The narrative does not delve into metaphysics, presenting Onoda's story as an unembellished adventure film that aligns with the traditions of authors like Defoe, Stevenson, and Conrad.

The article delves into the psychological aspects of Onoda's prolonged belief in the continuation of World War II, showcasing his resilience and the peculiar logic that sustained him for decades. Harari's portrayal of the jungle as a tangible and conquerable space adds a layer of realism to the story, emphasizing the characters' adaptability and resourcefulness in their everyday life.

In summary, the provided text discusses Hiroo Onoda's extraordinary journey, Arthur Harari's directorial prowess, and the thematic elements explored in the film, touching upon war, survival, and the psychological toll of prolonged isolation.

Kriegsfilm „Onoda“: Der Krieg, der nie zu Ende ging - WELT (2024)
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Author: Maia Crooks Jr

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